Aktuelles,  Menschenrechts-Ausschuss

Bericht meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin, Marie-Sophie Keller, über die Konferenz zum “Binding Treaty” in Genf

In der letzten Woche wurde bei den Vereinten Nationen in Genf über ein Abkommen über menschenrechtliche Pflichten für Konzerne, “Binding Treaty”, verhandelt. Die Bundesregierung stellt sich diesem Prozess von Anfang an in den Weg: gemeinsam mit der EU hat sie beschlossen, an den inhaltlichen Verhandlungen nicht teilzunehmen. Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin von Michel Brandt, Marie-Sophie Keller, ist nach Genf gereist und hat den Prozess direkt mitverfolgt. Hier ihr Bericht:

“Ich bin am Tag vor den Verhandlungen in Genf angereist und konnte direkt in das Strategietreffen des internationalen zivilgesellschaftlichen Bündnisses für einen Binding Treaty, der sogenannten ‘Treaty Alliance’, einsteigen. Dieses Treffen wurde u.a. genutzt, um sich zu vernetzen und gemeinsame Forderungen zu koordinieren. Es wurde deutlich, dass Frauenrechte und die Rechte Indigener unzureichend in dem Vertragsentwurf enthalten sind und sich stärker für diese Punkte eingesetzt werden muss. Auch hatten wir die Möglichkeit, ein Gespräch mit dem vorsitzenden Berichterstatter der UN-Arbeitsgruppe zu führen, welcher die Verhandlungen um das Abkommen leitet und den Vertragsentwurf ausgearbeitet hatte. Er betonte die Wichtigkeit verbindlicher Regeln für transnationale Konzerne und erläuterte die Schwierigkeiten in den Verhandlungen. Er sagte, dass der Erfolg des Abkommens davon abhängt, ob es am Ende eine kritische Masse an Unterstützerstaaten gibt.

Am gleichen Abend fand ein Treffen verschiedener Parlamentarier*innen mit der Treaty Alliance statt. Neben einer Abgeordneten auch Uruguay und eines Parlamentariers aus Indonesien, waren einige Vertreter des Europaparlaments und der französischen Nationalversammlung anwesend. Alle angereisten Abgeordneten sprachen sich für das Abkommen aus. Das Europaparlament verabschiedete vor kurzem sogar eine weitere Resolution, in welcher die EU auffordert wird, sich aktiv an den Verhandlungen des Binding Treaty zu beteiligen. Leider ignorieren die Entscheidungsträger innerhalb der EU die Resolution und somit den demokratischen Willen des Volkes. Auch die französischen Vertreter*innen spielen in den Verhandlungen eine besondere Rolle, da das Land vor kurzem ein Gesetz verabschiedet hat, welches Unternehmen an menschenrechtliche Sorgfaltspflichten entlang der Lieferketten bindet. Die französische Delegation war eine der wenigen europäischen Gesandten, die sich in die inhaltliche Verhandlungen unabhängig von der EU eingebracht hat. Die Bundesregierung kann in diesem Fall einiges von Frankreich lernen.

Am nächsten Tag begannen die Verhandlungen im Saal des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen. Der Berichterstatter wurde zum Vorsitzenden gewählt und der Vertragstext wurde vorgestellt. Nachdem die afrikanische Gruppe ihre Unterstützung des Prozesses verkündete und gemischte Kommentare aus anderen Ländern kamen, trat der Vertreter der EU an das Mikrofon. Er kritisierte den Prozess und machte deutlich, dass sich die EU und andere Industriestaaten auf die Füße getreten fühlen. Auch wurde erklärt, dass das Abkommen nicht nur auf transnationale Konzerne beschränkt werden dürfe, sondern auch nationale Unternehmen umfassen solle. Obwohl dies nach einer sinnvollen Forderung klingt, befürchten einige, dass damit der Geltungsbereich des Abkommens so breit werden könnte, dass dies die Wirksamkeit gefährden würde.

An diesem Tag hatte ich außerdem die Gelegenheit, gemeinsam mit der Treaty Alliance Deutschland eine Vertreterin des Auswärtigen Amtes zu treffen. Sie wiederholte die Kritik der EU Delegation und verkündete, dass sie am gleichen Tag wieder abreisen würde. Somit war die Bundesregierung während den inhaltlichen Verhandlungen nicht vertreten. Nur am letzten Tag beobachteten zwei Praktikantinnen die Verkündung der Schlussforderungen und des Berichts. Diese “diplomatische Sprache” spricht Bände.

Zwar musste auch ich am ersten Tag wieder abreisen, doch verfolgte ich den Prozess gespannt von Berlin aus. Besonders auffällig und alarmierend war das Eingreifen der Konzernlobby in den Prozess. Der internationale Arbeitgeber*innenverband (IOE) drohte während der Verhandlungen in einem Bericht indirekt denjenigen Staaten mit wirtschaftlichen Konsequenzen, die das Abkommen unterzeichnen wollen.

Am Freitag wurde diese vierte Verhandlungsrunde mit einem Abschlussbericht und Schlussfolgerungen beendet. Staaten müssen diesen zustimmen, damit der Prozess im Folgejahr weiter gehen kann. Die EU äußerte, sie würde den weiteren Prozess nicht blockieren, “distanzierte” sich aber von den Schlussfolgerungen. Was dies für den weiteren Verhandlungsverlauf bedeutet, wird sich spätestens im nächsten Jahr während der fünften Verhandlungsrunde herausstellen.”

Es besteht also die historische Gelegenheit, Gerechtigkeit für Opfer von Verbrechen durch Konzerne einzufordern und die Bundesregierung ist die treibende Kraft innerhalb der EU, um den Prozess ins Leere laufen zu lassen. Erst in einem Jahr werden die Verhandlungen in die nächste Runde gehen. Bis dahin müssen wir auf allen Ebenen den Druck erhöhen, um der Bundesregierung unmissverständlich mitzuteilen: Wir fordern die produktive und aktive Mitgestaltung an einem Binding Treaty, der Menschenrechte über Profite stellt!