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Deutsche Bundespolizist*innen in illegalen Pushback verwickelt

Der Spiegel veröffentlichte Ende letzter Woche eine Recherche, in der aus internen Dokumenten hervorging, dass Bundespolizist*innen an einem illegalen Pushback am 10. August 2020 beteiligt waren. Am Montag wurde das Bundesinnenministerium (BMI) auf der Pressekonferenz der Bundesregierung zu diesem Vorfall befragt, am Dienstag musste sich der Frontex-Chef Fabrice Leggeri im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des EU-Parlaments den Fragen der Abgeordneten stellen. Bei beiden Befragungen wurde deutlich, wie BMI und Frontex die gezielte Erosion des Völkerrechts aktiv vorantreiben.

Frontex und das BMI leugnen die Beteiligung an einem sogenannten Pushback. Dabei streiten sie nicht grundsätzlich ab, dass der fragliche Fall am 10. August stattfand, sie versuchen vielmehr die Begriffe „Seenot“ und „Pushback“ zu verwässern und dem Zweck der Abschottung anzupassen.

Zum BMI: Die Bundespolizist*innen fanden am besagten Tag in griechischen Gewässern ein überfülltes Schlauchboot mit 40 Menschen an Bord, hielten es an. Doch sie retteten die Insassen nicht aus dem Meer, nahmen sie nicht an Bord. Stattdessen warteten sie auf die griechische Küstenwache. Sie bekamen von Ihnen die Anweisung, in den Hafen zurückzukehren und taten das offenbar auch. Die griechische Küstenwache übernahm daraufhin den Fall und kehrte wenig später ebenfalls in den Hafen zurück – ohne die Menschen an Bord des Schlauchbootes. Die Schutzsuchenden wurden von den griechischen Grenzschützern offenkundig in türkische Gewässer geschleppt. Sie wurden Opfer eines illegalen Pushbacks.

Das BMI behauptet nun, ein Pushback sei gar nicht bewiesen und ginge aus dem Bericht der Bundespolizei nicht hervor. Die BMI-Pressesprecherin dazu: „Der Sachverhalt ist durch die Bundespolizei aufgenommen worden, aber die haben ja den Einsatzort verlassen und was dann passiert ist vor Ort, können die Bundespolizisten vom Hafen ja nicht bewerten oder beurteilen.“ Auf die Frage, ob denn der Bundespolizei nach all den Berichten nicht klar war, dass die griechische Küstenwache die Menschen völkerrechtswidrig zurückdrängen wird, antwortet die Sprecherin des BMI nicht. Darüber hinaus behauptet sie wiederholt, dass „keine unmittelbare Seenot bestand“.

Dazu ein kurzer Ausschnitt aus der Pressekonferenz vom 30.11.:

Journalist: „Warum sind 40 Menschen in einem Schlauchboot auf hoher See keine Seenot?“

BMI-Sprecherin: „Also wann ein Schiff in Seenot und wann nicht, diese Einschätzung überlasse ich den zuständigen handelnden Behörden.“

Journalist: „Erkennt das BMI das internationale Seerecht an? Da ist das klar geregelt und da ist klar, dass 40 Menschen auf einem Schlauchboot in Seenot sind.“

BMI-Sprecherin: „Die Vorschrift, von der Sie sprechen, dass das so normiert ist, dass 40 Menschen auf einem Boot in Seenot sind automatisch, die Vorschrift kenn ich nicht.“

Für das BMI würde sich dazu ein Blick in eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages von 2019 lohnen. Dort werden klare Kriterien zur Einschätzung, ob sich ein Boot in Seenot befindet oder nicht, definiert (siehe Screenshots). Fast alle der auf Seite 7 genannten Anhaltspunkte dürften am 10. August erfüllt gewesen sein. Die Bundespolizist*innen haben somit Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Pushback geleistet und sich darüber hinaus der unterlassenen Hilfeleistung schuldigt gemacht!

Frontex-Chef Leggeri ging gestern noch einen Schritt weiter und behauptete, dass Staaten das Recht haben, Boote in Drittstaaten abzudrängen. Das, was Leggeri als rechtskonform darzustellen versucht, entspricht eindeutig einer völkerrechtwidrigen Handlung – insbesondere dann, wenn sich die Menschen bereits im Staatsgebiet und nicht mehr unmittelbar an der Grenze befinden. Die Menschen haben ein Recht auf Asylantragstellung. Vor einer eventuellen Ausweisung muss festgestellt werden, dass in dem Staat, aus dem eingereist wurde, keine Gefahr für Leib und Leben und keine Verfolgung droht.

Diese Entwicklungen sind mehr als besorgniserregend! Völkerrechtliche Vereinbarungen und Grundlagen wie die Genfer Flüchtlingskonvention und das internationale Seerecht sind für die EU und ihre Mitgliedsstaaten längst nicht mehr handlungsleitend, sie werden dem Ziel der Abschottung kurzerhand untergeordnet. Dieses Vorgehen ist ein Skandal und darf nicht ohne Konsequenzen bleiben! Der mittlerweile von vielen geforderte Rücktritt Leggeris jedoch wird das Problem nicht lösen, dieses ist nämlich in den Strukturen von Frontex verankert. Die Auflösung der Grenzschutzagentur ist deshalb alternativlos!

 

Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages: https://www.bundestag.de/resource/blob/516166/90470cc9ff31524a40522ac738f79fbd/wd-2-068-17-pdf-data.pdf

Pressekonferenz der Bundesregierung vom 30.11.2020: https://www.youtube.com/watch?v=N-_J6LgtuU8&feature=youtu.be&t=3016 (ab 50:20)

Spiegel-Artikel zur Verwicklung deutscher Bundespolizist*innen in illegalen Pushback: https://www.spiegel.de/politik/ausland/frontex-skandal-deutsche-bundespolizisten-in-illegalen-pushback-in-der-aegaeis-verwickelt-a-d4e45196-a5b2-43a5-9050-72885b349996