Aktuelles

Die Situation im zentralen Mittelmeer im Dezember 2020

Im letzten Monat des Jahres 2020 wurden im zentralen Mittelmeer 118 Todes- und Vermisstenfälle dokumentiert. Mit Blick auf das ganze Jahr steigt die Todes- und Vermisstenzahl somit auf 1.362 Menschen. Die Dunkelziffer ist vermutlich enorm, denn immer wieder konnte wochenlang kein einziges ziviles Rettungsschiff zur Beobachtung und Rettung unterwegs sein und auch die Aufklärungsflugzeuge von Sea-Watch wurden immer wieder an ihrer Arbeit gehindert. Besonders ab August stieg wetterbedingt die Zahl der Abfahrten und somit die Todeszahlen, während parallel Sea-Watch 3 und 4, Alan Kurdi, Ocean Viking und Michel Louise festgesetzt wurden. 2020 hat gezeigt, dass es keinen rechtsradikalen italienischen Innenminister braucht, um die Arbeit der zivilen Seenotrettung massiv zu blockieren.

Ende Dezember schließlich konnte die Open Arms wieder auslaufen und am 31.12.2020 169 Menschen aus Seenot retten. Im gesamten Jahr haben die Seenotretter*innen allem Widerstand zum trotz 3.500 Menschen aus Seenot an Board genommen und in Italien und Malta ausgeschifft. Danke an dieser Stelle für den unglaublichen Einsatz und die Hartnäckigkeit!

Die Zahl der dokumentierten sogenannten Pullbacks – oder auch „Pushbacks by proxy“ (Pushbacks im Auftrag) durch die sogenannte libysche Küstenwache ging im Dezember zurück, insgesamt wurden 126 Menschen auf diesem Wege in libysche Lager zurück gezwungen. 2020 liegt die Zahl dieser Pullbacks bei 11.891 – das sind 2.666 Menschen oder fast 30% mehr als in Vorjahr. Jeder dieser Menschen läuft in Libyen Gefahr Opfer von Menschenhandel, Misshandlung, Erpressung und Mord zu werden, Migrant*innen und Geflüchtete sind dort systematisch schlimmsten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dennoch hält die EU daran fest, immer mehr Verantwortung an die sogenannte libysche Küstenwache auszulagern – das Leiden der Menschen in libyschen Lagern ist also direkte Konsequenz europäischer Politik.

Das Jahr 2020 hat uns allen erneut vor Augen geführt, wie inhuman und rücksichtslos der europäische Abschottungskomplex agiert. Deshalb braucht es einen grundlegenden, tiefgreifenden Richtungswechsel hin zu einer menschenrechtsbasierten, solidarischen Migrationspolitik: Freie Fahrt allen Rettungsschiffen, staatlich organisierte zivile Seenotrettung, das Ende der Unterstützung der sog. libyschen Küstenwache, Evakuierung der libyschen Lager und Schaffung sicherer, legaler Wege der Einreise in die EU.