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EU-Migrationspakt aus der Hölle

Gestern hat die EU-Kommission ihre Idee eines neuen europäischen Migrations- und Asylpakets vorgestellt. Vieles daraus war schon bekannt, einiges ist begrifflich neu und unterbietet die ohnehin niedrigen Erwartungen, nichts davon kommt überraschend. Besonders unerträglich war auf der Pressekonferenz die inflationäre Nutzung des Wortes „Solidarität“, welches sich an keiner einzigen Stelle auf schutzsuchende und fliehende Menschen bezog, sondern stets auf EU-Mitgliedsstaaten und deren Unterstützung bei Abschiebungen. Damit legt die EU-Kommission einen, man kann es nicht anders sagen, völlig pervertierten und von den Menschenrechten entkoppelten Solidaritätsbegriff an den Tag.
Bei der Vorstellung des Migrationspakets verkündigte die Kommission paradoxerweise die Überwindung von Zuständen wie in Moria durch die Institutionalisierung und Verstetigung von Lagern wie Moria. Ein wesentliches Element des Vorschlags ist nämlich die Einrichtung von Asylzentren entlang der Außengrenzen. „Irregulär“ Eingereiste sollen zukünftig direkt an den Grenzen in einem schnellen „Screening“ (Registrierung, Gesundheits- und Sicherheitscheck)innerhalb von fünf Tagen nach Herkunftsland ‚vorsortiert‘ werden.
In dieser Zeit gelten sie nicht als offiziell eingereist. Alle Menschen aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von unter 20 % werden nicht zur Bearbeitung ihres Asylantrags auf die EU-Staaten verteilt, sondern unter massiver Einschränkung ihrer Freiheit in Lagern an der Außengrenze festgehalten. Dort werden ihre Asylanträge nach Plan der Kommission innerhalb von drei Monaten bearbeitet und die Menschen dann zügig wieder abgeschoben. Dieses System institutionalisiert Menschenrechtsverletzungen und schafft rechtsfreie Räume – und das mit Ansage.
Ein Begriff aus der Hölle, welcher ebenfalls wesentliches Element des Migrationspakets ist, sind sogenannte „Abschiebepatenschaften“(englisch „Return Sponsorships“). Die EU-Staaten dürfen sich zwischen der Aufnahme und Abschiebungen entscheiden. Länder wie Ungarn,
Österreich und Polen, die die Aufnahme von Geflüchteten verweigern, müssen dann andere Länder bei Abschiebungen unterstützen. Dieses System der „flexiblen Solidarität“ verkauft die EU-Kommission als Durchbruch. Was passiert, wenn die Mehrheit der Staaten nur noch abschieben, nicht aber aufnehmen möchte, bleibt jedoch offen. Allgemein sind Massenabschiebungen zentrales Element des Migrationspakts, natürlich tatkräftig unterstützt von Frontex. Der Weg in die EU soll nur durch wenige Nadelöhre möglich sein, der Weg zurück so breit wie möglich.
Drittes Element des Vorschlags ist eine verstärkte Zusammenarbeit mit EU-Drittstaaten zur angeblichen Bekämpfung von Schleuserei. Im Klartext geht es um Migrationsbekämpfung und das Ziel, dass möglichst wenige Menschen überhaupt in die Nähe der EU-Außengrenzen kommen. Nichts daran ist neu, das Prinzip der Externalisierung und die Folgen derselben beobachten wir beispielsweise in Libyen oder auf den tödlichen Sahara-Routen.
Wenn man sich Wortschöpfungen, wie Abschiebepatenschaften anschaut, möchte man sich gar nicht vorstellen, welche Entscheidungen die Expert*innengruppe Seenotrettung treffen wird.
Zusammengefasst hat die EU-Kommission heute eine Zementierung und Verstetigung des menschenfeindlichen Systems aus Abschiebungen, Lagern an den Außengrenzen und Abschottung vorgestellt. Ein Paradigmenwechsel ist das mitnichten. Der Schutz von Menschen oder gar die Entwicklung einer menschenrechtsbasierten Migrationspolitik spielt in dem Vorschlag schlicht keine Rolle. Ich rufe das EU-Parlament auf diesen unsäglichen Migrationspakt aus der Hölle zu stoppen! Wir brauchen einen tatsächlichen Paradigmenwechsel. Dazu gehört
– die Etablierung staatlich finanzierter ziviler Seenotrettung
– das Ende des Hotspot-Systems
– die Aufkündigung der Kooperation mit der sogenannten libyschen Küstenwache
– die Aufkündigung des sogenannten EU-Türkei-Deal
– sichere und legale Fluchtwege
– das Ende des europäischen Abschieberegimes
Für eine menschliche, solidarische Migrationspolitik.