Aktuelles,  Menschenrechts-Ausschuss

Die Situation im zentralen Mittelmeer im August 2020

Im August sind zwei neue Rettungsschiffe ins Mittelmeer aufgebrochen, um die zivile Flotte der Solidarität weiter auszubauen. Schön, dass die „Sea-Watch 4“ und die von dem Streetart-Künstler Banksy gesponserte und nach der französischen Anarchistin benannte „Louise Michel“ nun auf Rettungsmission sind – traurig, dass es notwendig ist.

Wie wichtig jedes einzelne Schiff im Mittelmeer ist und wie eklatant das kalkulierte Versagen der EU, zeigte sich erneut in den vergangenen Wochen: Im August wurden über 1.500 Menschen im Auftrag der EU auf See abgefangen und zurück in libysche Folterlager verschleppt, fast 100 Menschen sind an der Außengrenze der EU zu Tode gekommen. Insgesamt sind 2020 nun bereits mehr als 500 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer verschollen und verstorben. In den Worten der Sea-Watch-Aktivistin Neeske Beckman: „Die EU muss keine Geflüchteten erschießen; das Meer erledigt die dreckige Arbeit für sie.“

In zahlreichen Fällen haben die Seenotleitstellen in Italien, Malta und auch Deutschland Notrufe ignoriert und Rettungen massiv verzögert. Bei einem Rettungseinsatz der „Louise Michel“ musste die “Sea-Watch 4”, die schon rund 200 gerettete Menschen an Bord hatte, ihre Route ändern und der „Louise Michel“ zur Hilfe eilen, weil die staatlichen Behörden über Stunden jede Hilfe verweigerten. Die Geflüchteten auf dem Schlauchboot zogen sich massive Treibstoff-Verbrennungen zu, eine Person war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. In einem weiteren Fall stattete die maltesische Küstenwache die Menschen auf einem Boot offenbar nur mit Rettungswesten aus, um sie dann weitere 60 Seemeilen nach Italien weiterzuschicken – unter hohem Risiko Schiffsbruch zu erleiden. 

Die Praxis der Stand-Offs, also der Weigerung gerettete Menschen an Land zu lassen, hat sich im August noch einmal verschärft. Der Öltanker „Maersk Etienne“, der am 5. August 27 Menschen aus Seenot rettete, wartet seit vier Wochen auf die Zuweisung eines sicheren Hafens in Malta oder Italien. Auch den 353 Menschen an Bord der Sea-Watch 4 wurde tagelang der Zugang zu einem Hafen verweigert. Mit der Verweigerung grundlegender Rechte unter Bruch des Seerechts sendet die EU ein fatales Signal an Reedereien: Wer seiner völkerrechtlichen Pflicht zur Seenotrettung nachkommt, muss mit heftigen finanziellen Verlusten durch wochenlange Verzögerung der Weiterfahrt rechnen.

Auch der August zeigt, wie dringend nötig ein grundlegender Paradigmenwechsel in der europäischen Migrationspolitik ist. Solidarität, Menschlichkeit und das Recht auf Bewegungsfreiheit müssen richtungsgebend für den Umgang mit Geflüchteten sein.