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Einschätzung zum Infektionsschutzgesetz

Bundesregierung hat Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretikern mit schlechtem Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes Tür und Tor geöffnet.

Derzeit gibt es viel Aufregung um die von der Bundesregierung geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Rechtsextreme, AfD-Anhänger*innen, Verschwörungstheoretiker*innen, Reichsbürger*innen und Corona-Leugner*innen kapern die Debatte und erwecken den Eindruck, dass ein neues Ermächtigungsgesetz drohe und die Grundrechte aufgehoben würden. Das ist natürlich völliger Unsinn. Auch wenn dieses Gesetz beschlossen wird, gelten weiter die Grundrechte, hat die Regierung keine Allmacht und gibt es keine Impfflicht. Das Parlament kann das Gesetz jederzeit wieder ändern.

Um eine sachliche Debatte zu dem Thema zu ermöglichen, haben wir Euch hier ein paar Informationen zusammengestellt:

 

Warum das Infektionsschutzgesetz verändert wird

Erst vor wenigen Tagen hat der bayerische Verwaltungsgerichtshof deutliche Kritik an der derzeitigen Corona-Politik der Bundesregierung und der Länder geübt. Die Kernkritik: Die Corona-Verordnungen greifen tief in Grundrechte ein. Solche Eingriffe in Grundrechte bedürfen einer klaren Rechtsgrundlage und einer guten Begründung. Das ist derzeit nicht der Fall. Die Grundlage der derzeitigen Corona-Verordnungen ist §28, Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes. Da steht jedoch nicht viel zu den konkreten Maßnahmen, die ergriffen werden.

Dieses Problem bestand schon im März 2020, als die ersten Corona-Verordnungen erlassen wurden. Jedoch haben sich die Gerichte geduldig mit den Regierungen der Länder und des Bundes gezeigt, damit sie die erforderlichen Anpassungen vornehmen können. Die Geduld der Gerichte ist jetzt verständlicherweise am Ende. Seit Monaten erleben wir, wie Verwaltungsgerichte Verordnungen nach und nach aufheben und die Erfolgsquote von Klagen ansteigt. Wenn die Bundesregierung dieses Problem nicht löst, indem sie das Infektionsschutzgesetz endlich vernünftig und nachvollziehbar ausgestaltet, werden die gesetzlichen Regelungen ihre Wirksamkeit verfehlen, und die Gefahren für den Gesundheitsschutz eher steigen.

 

Was am Infektionsschutzgesetz geändert werden soll

Als Reaktion auf die Entscheidung des bayerischen Verwaltungsgerichtshofes und einiger anderer Gerichte haben CDU/CSU und SPD eine Aktualisierung des Infektionsschutzgesetzes, das sogenannte „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, vorgelegt. Die Änderung soll dazu dienen, die Corona-Maßnahmen, die landesweit auf Grundlage von Landesverordnungen ergehen, auf eine hinreichende gesetzliche Grundlage zu stellen. Die wesentliche Änderung betrifft die Einfügung eines neuen §28a im Infektionsschutzgesetz, der zahlreiche Maßnahmen auflistet, wie etwa Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, Abstandsgebote, Schließung der Gastronomie usw. Zudem wird erläutert, wann und wie schwerwiegende Maßnahmen getroffen werden dürfen. Dabei bezieht man sich auf die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner*innen.

 

Die Kritik an den Änderungen des Infektionsschutzgesetzes

Zu dem Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes fand am 12.11.2020 eine Sachverständigenanhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag statt. Sie zeigte, dass der vorliegende Entwurf fehlerhaft ist und das angestrebte Ziel, eine klare gesetzliche Grundlage zu schaffen, nicht erreichen wird.

So führte Prof. Dr. Anika Kalafki von der Universität Jena aus, dass der neue §28a im Infektionsschutzgesetz viel zu ungenau ist. Am Beispiel der Ausgangsbeschränkungen machte sie deutlich, dass völlig unklar bleibt, was mit Ausgangsbeschränkungen gemeint ist. Wie weit der Gesetzgeber bei Ausgangsbeschränkungen gehen darf, wird ebenfalls nicht erklärt. Auch werden an keiner Stelle genannte Begriffe wie „schwerwiegende Schutzmaßnahmen“, „stark einschränkende Schutzmaßnahmen“ und „einfache Schutzmaßnahmen“ definiert. Damit bleibt ungeregelt, was verhältnismäßig ist.

Vernichtend bewertet in der Anhörung auch die Bochumer Staats- und Gesundheitsrechtlerin Dr. Andrea Kießling den Gesetzentwurf. Sie führte aus, dass die Gerichte die Vorschrift in dieser Form höchstwahrscheinlich nicht als Rechtsgrundlage für die Corona-Schutzmaßnahmen akzeptieren werden. Auch der Berliner Staatsrechtler Prof. Dr. Christoph warnte, man werde vor dem Bundesverfassungsgericht mit den geplanten Regelungen. Schiffbruch erleiden.

Leider fehlt es auch weiterhin an einer klaren Definition des Begriffs „Pandemie von nationaler Tragweite“ Der pauschale Verweis auf Schwellenwerte, wie die Anzahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner*innen, ist jedenfalls unzureichend. Vor allem aber der Absatz 3 des neuen §28a im Infektionsschutzgesetzes zeigt das Problem: Ohne jede Nennung von konkreten Voraussetzungen wird die Exekutive ermächtigt, die genannten Maßnahmen zu erlassen. Aufgrund der erheblichen Tiefe des Eingriffs in die Grundrechte dürfte das von vielen Gerichten als unverhältnismäßig angesehen werden. Am Ende hat die Bundesregierung mit ihrem schlecht vorbereiteten Gesetzentwurf den Verschwörungstheoretikern und Extremisten erst Raum gegeben.

 

Wie eine Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes aussehen müsste

Dass eine Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes nötig ist, liegt auf der Hand. Folgende Punkte müssen dabei klar und unmissverständlich geregelt werden:

  • Es ist darzulegen, welche Maßnahmen überhaupt nach dem Infektionsschutzgesetz geregelt werden dürfen.
  • Es ist zu regeln, welche Maßnahmen nur dann umgesetzt werden dürfen, wenn eine epidemische Lage von nationaler Tragweite vorliegt.
  • Der Bundestag muss eine epidemische Lage feststellen, nicht eigenmächtig die Regierung.
  • Die einzelnen Maßnahmen müssen einzeln und klar beschrieben werden. Nur dann sind die Folgen der Maßnahmen für die Bürger*innen nachvollziehbar.
  • Die Neuregelungen müssen sicherstellen, dass ein Mindestmaß an Grundrechten gewahrt bleibt. Das betrifft das Versammlungsrecht genauso, wie den Schutz der Wohnung.
  • Es braucht klare Entschädigungsregelungen für Betroffene, statt allgemeiner Hilfszusagen von der Regierungsseite. Und die Entschädigungen müssen sozial ausgewogen erfolgen.
  • Nötig ist auch eine zeitliche Befristung der Maßnahmen unter einer pandemischen Lage im Gesetz, die nur vom Bundestag verlängert werden kann.
  • In den Bundesländern sollten die Landesparlamente auf eine Zustimmungspflicht pochen, so dass die Verordnungen dort abgestimmt werden müssen. Dies stärkt die demokratische Grundlage der Anti-Corona-Maßnahmen.

 

Fazit

Der fehlerhafte und schlecht geschriebene Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes wird mehr schaden als nützen. Den bisher vorliegenden gerichtlichen Entscheidungen wird das neue Gesetz offensichtlich nicht gerecht. Die Bundesregierung liefert keine hinreichende gesetzliche Grundlage, um den Gefahren der Corona-Pandemie wirksam zu begegnen. Das gefährdet die Gesundheit vieler Menschen und spiel Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen in die Hände. Wir nehmen die Corona-Pandemie sehr ernst und setzen uns für einen wirksamen Schutz der Menschen vor dem Covid-19-Virus ein. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf als unzureichend ab.

 

Quelle:

Niema Movassat, MdB: https://www.movassat.de/nein-zum-neuen-bevoelkerungsschutzgesetz