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Fauler Kompromiss um das Lieferkettengesetz – eine Analyse

Seit Jahren kämpfen wir von DIE LINKE für ein Lieferkettengesetz, damit Unternehmen nicht länger von miserablen Arbeitsbedingungen, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen in ihrem globalen Wirtschaften profitieren können. Nach einem eineinhalb-jährigen Streit in der GroKo, gab es am Freitag schließlich eine Einigung zwischen Arbeitsminister Heil, Entwicklungsminister Müller und Wirtschaftsminister Altmaier. Doch Grund zum Korken knallen gibt es kaum. Bei genauerem Hinschauen zeigt sich, dass der Entwurf weit hinter den Erwartungen und unseren Forderungen zurückgeblieben ist. Altmaier, und damit auch die Konzernlobby, konnte sich in mehr oder weniger allen Punkten durchsetzen und die SPD hat es durch einige hübsch klingende Akzente nach einem Kompromiss klingen lassen. Hier eine Übersicht der Knackpunkte:

Viele Unternehmen fallen durchs Netz

Erst hieß es in einem Gesetzesentwurf aus dem Entwicklungsministerium, dass Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden verpflichtet werden sollte. Dann sprachen die 2020 geleakten Eckpunkte von Unternehmen mit mehr als 500 Angestellten. Jetzt stehen wir vor dem bitteren Ergebnis, dass ab 2023 gerade mal 600 Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitenden in den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. Die Zahl soll ab 2024 zwar auf 1000 gesenkt werden, doch kleine und mittlere Unternehmen werden keinesfalls Konsequenzen für Menschenrechtsverletzungen tragen müssen. Dabei spielt es keine Rolle, dass sie eventuell in Risikosektoren wie der Textilindustrie oder dem Bezug von Rohstoffen tätig sind. Dadurch bekommt das Gesetz einen massiven blinden Fleck und macht nur Teile der deutschen Wirtschaft für die Menschenrechte verantwortlich.

Kurzsicht in der Lieferkette

Unternehmen haben komplexe und intransparente Netzwerke aus Zulieferern geschaffen, um ihrer Verantwortung zu entgehen. Damit fahren sie dank dem Kompromiss auch weiterhin eine erfolgreiche Strategie. Denn für das Gesetz sind im Wesentlichen nur die eigenen Geschäftstätigkeiten und Beziehungen mit direkten Vertragspartnern von Relevanz. Nur wenn es zu einer begründeten Beschwerde kommt, müssen die Unternehmen handeln. Kurz gesagt: Kurzsicht und Nachsicht, statt Weitsicht und Prävention. 

Kaum bessere Klagemöglichkeiten für Leidtragende

Um wirksam zu sein, braucht ein Gesetz Umsetzungsmechanismen. Darum ist es bereits seit Langem eine zentrale Forderung von Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und linker Opposition, eine zivilrechtliche Haftung im Fall von Verstößen einzuführen. Das würde beispielsweise einer Näherin in Äthiopien nach einem vorhersehbaren Arbeitsunfall die Gelegenheit geben, gegen den deutschen Konzern vor einem deutschen Gericht wegen Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht zu klagen. Das ist momentan wegen der hohen Hürden im internationalen Privatrecht kaum möglich. Es ist deshalb kein Wunder, dass es bisher nur einen einzigen Fall gab, der es erfolgreich vor ein deutsches Gericht geschafft hat. Hierbei handelt es sich um eine Klage gegen KiK nach einem Fabrikbrand in Pakistan, der allerdings an besagten Hürden gescheitert ist.

Beschreibend für diese GroKo ist, dass Arbeitsminister Heil wieder und wieder betont hatte, dass es kein Gesetz ohne Haftung geben wird. Dieses Versprechen warf er dann jedoch kurzerhand über Bord, als ein wohlklingendes Zugeständnis in Sicht war: Zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften sollen das Recht bekommen, unter dem bestehenden, unzureichenden, internationalen Privatrecht zu klagen. Das ist zwar eine Verbesserung im Verhältnis zum status quo, die Hürden sind aber noch immer zu hoch und das anzuwendende Recht unvorteilhaft.

Kontrollbehörde mit Augenbinde

Da die Möglichkeit der Kontrolle durch Geschädigte weiterhin sehr eingeschränkt bleibt, wird die Wirksamkeit des Gesetzes davon abhängen, wie genau das designierte Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hinsehen wird. Das BAFA soll die betreffenden Unternehmen bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten unterstützen und deren Einhaltung überprüfen. Das wird sie durch die Prüfung der Unternehmensberichte und eventuelle Kontrollen vor Ort tun. Bei Verstößen kann die Behörde Straf- und Bußgelder in Höhe von wahrscheinlich bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes des Konzerns verhängen. 

Der Haken an der Sache ist, dass das BAFA dem Wirtschaftsministerium unterstellt ist und dessen Interessen vertritt. Das es hierbei unweigerlich zu einem Interessenskonflikt kommen muss, zeigt sich sehr gut am Beispiel der Rüstungsexporte. Das BAFA soll deren Endverbleib in den Empfängerländern kontrollieren, was sie seit 2016 jedoch bisher kaum getan hat. 

Laut Entwurf wird die Behörde gerade mal 65 zusätzliche Vollzeitstellen ausgestattet. Ab 2024 sollen diese es dann bewältigen, knapp 3.000 Unternehmensberichte hinreichend zu prüfen und gewissenhafte Kontrollen entlang der Lieferkette dieser Unternehmen durchzuführen. Zuversicht und Vertrauen in die gute Arbeit des BAFA bleibt dementsprechend aus. 

Lieferkettengesetz: Fortschritt oder Rückschritt?

Die GroKo beweihräuchert sich selbst und lobpreist ihren Kompromiss als großen Fortschritt für die Menschenrechte. Das Gesetz wird am 17. März im Kabinett ohne weitere Debatte durchgewunken und geht dann in die erste und zweite Lesung im Bundestag. Inwieweit das Gesetz eine echte Verbesserung für die Menschen entlang der Lieferkette darstellen wird, bleibt abzuwarten. Die aufgeführten Knackpunkte geben allerdings Grund zur Sorge. Es ist natürlich ein wichtiger Schritt, dass menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen gesetzlich festgeschrieben werden. Doch wenn es keinen wirksamen Mechanismus gibt, um die Umsetzung dieser Pflichten zu kontrollieren, bleibt das Gesetz ein Feigenblatt. Nicht nur werden Unternehmen die Menschenrechte nicht schützen, wenn es sich für sie weiter rechnet. Sie können sich sogar hinter dem Gesetz verstecken und sich als ethisch handelnde Akteure präsentieren. 

Es folgt also der Blick nach Brüssel, wo momentan eine EU-weite Lieferkettenverordnung ausgearbeitet wird. Wenn diese weiterreichender ist als das deutsche Gesetz, muss die Bundesregierung auf nationaler Ebene nachbessern. Das wird die deutsche Vertretung in der EU sicherlich versuchen zu verhindern, doch es gibt für uns noch ein Handlungsfenster. 

Sicher ist: wir von DIE LINKE werden das ausgehandelte „Nachlässigkeitsgesetz“ so nicht mittragen. Wir fordern ein wirksames Gesetz, das für alle deutsche Unternehmen und für die gesamte Lieferkette gilt. Es braucht umfangreiche zivilrechtliche Haftungsregeln, Verbands- und Kollektivklagerechte und ein Unternehmensstrafrecht.