Aktuelles

Die Situation im zentralen Mittelmeer im April 2021

Selten ließ die EU hemmungsloser die Maske fallen, als in der vorletzten Aprilwoche, als drei Boote mit mehr als 250 Menschen an Bord in Seenot gerieten und die Seenotleitstellen in Italien und Malta die Hände in den Schoß legten, während mehr als 100 Menschen ertranken und ebenso viele nach Libyen zurückverschleppt wurden. Bei weiteren Schiffsbrüchen verschwanden und ertranken fast 80 weitere Menschen, sodass sich die Zahl der verlorenen Menschenleben im April auf mindestens 208 beläuft. In den ersten vier Monaten des Jahres forderte die Festung Europa mindestens 612 Todesopfer im Mittelmeer und mindestens 70 weitere im Atlantik. Zugleich wurde im Bundestag mehrheitlich für die Verlängerung der Bundeswehrbeteiligung an der EU-Mission EUNAVFOR MED IRINI gestimmt, in deren Aufgabenprofil Seenotrettung explizit ausgeschlossen ist. Das Sterben im Mittelmeer ist keine unabwendbare Naturkatastrophe, sondern kalkulierter Teil der EU-Migrationspolitik!

Ein wesentlicher Teil dieser Politik im zentralen Mittelmeer ist die sogenannte libysche Küstenwache, die von der erwähnten EU-Mission IRINI ausgebildet wird und seit 2017 finanziell und operativ von der EU aufgebaut wurde. Diese „Küstenwache“ übernimmt, was europäischen Staaten völkerrechtlich verboten ist: Menschen abfangen und nach Libyen zurückzwingen. Ende April deckte ein Recherche-Team von SPIEGEL und anderen auf, dass die sog. libyschen Küstenwache dabei eng mit Frontex zusammenarbeitet und so mit Überwachungsdaten versorgt wird. Die Zusammenarbeit läuft aus Perspektive der EU wie geschmiert: Im April wurden laut IOM wieder mindestens 916 Menschen auf See abgefangen und so an der Flucht nach Europa gehindert. Was diese Menschen in Libyen erleben und warum sie alles riskieren, um von dort zu fliehen, interessiert die EU dabei nicht. Universelle Menschenrechte? Für die EU scheinbar bloß ein Feigenblatt.

Einzig die Zivilgesellschaft hält vehement an der Menschlichkeit und dem Wert jeden Lebens fest. Mit der Sea-Eye 4 hat ein neues Bündnisschiff das Mittelmeer erreicht und wird bald die erste Mission beginnen. Auch die Sea-Watch 4 war nach langer Blockade wieder im Einsatz und konnte in sechs Einsätzen 455 Menschen an Bord nehmen (zwei der Rettungen am 1. Mai). Kurz zuvor hatte die Ocean Viking bei zwei Einsätzen 236 Menschen aus Seenot retten können. 691 Menschen, die die EU hätte sterben oder in Folterlager zurück verschleppen lassen, wenn die zivilen Seenotretter*innen nicht da gewesen wären!

Die europäische Abschottungspolitik fordert weiter hunderte Tote im April allein. Statt Abschiebung und Abschottung brauchen wir eine staatlich organisierte, zivile Seenotrettung, sichere Fluchtwege und die Evakuierung der Lager und eine menschenwürdige Aufnahme der Geflüchteten!