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Heute vor einem Jahr sind 91 Menschen im Mittemeer in Seenot geraten – Bis heute fehlt von ihnen jede Spur

Heute vor einem Jahr, am 9. Februar 2020, kontaktierten 91 Menschen von einem schwarzen Schlauchboot aus das Alarm Phone. Sie befanden sich vor der Küste Libyens in Seenot, ihr Boot drohte zu sinken. Alarm Phone kontaktierte die italienischen und maltesischen Behörden, sowie die sogenannte libysche Küstenwache und gab die GPS-Koordinaten der Menschen weiter. Kurze Zeit später konnte Alarm Phone ein letztes Mal mit den Menschen sprechen. Seitdem fehlt von ihnen jede Spur. Die 91 Menschen gehören zu jenen ungezählten Todesopfern im Mittelmeer, die niemals in offiziellen Statistiken auftauchen. Die staatlichen Behörden suchen nicht nach ihnen, es gibt keine umfangreichen Such- und Rettungsaktionen.
 
Das Alarm Phone konnte gemeinsam mit Angehörigen und Freund*innen 62 der 91 Menschen am 9. Februar 2020 verschollenen Menschen Namen und Gesicht geben. In Dafur findet heute eine Gedenkveranstaltung statt.
 
Nach Ansicht der EU war die von ihr ausgebildete und finanzierte sogenannte libysche Küstenwache für den Fall der 91 Menschen verantwortlich. Diese jedoch teilte dem Alarm Phone mit, dass sie keine Rettungsaktion starten werden, da die Lager in Libyen voll seien. Trotzdem ignorierten sämtliche europäische Behörden die wiederholten Notrufe des Alarm Phone. Einen Monat später dann ignorierten sie einen offenen Brief von Angehörigen und Freund*innen, in dem um Aufklärung gebeten wird – keine einzige Behörde reagierte.
Ich habe am 28. Februar und 6. März in schriftlichen Fragen die Bundesregierung nach ihrem Kenntnisstand gefragt. Die Antwort: Man bemühe „sich um die Aufklärung des Vorfalls“ und stehe dazu „im engen Austausch mit den libyschen Behörden sowie mit Nichtregierungsorganisationen.“ (Drucksache 19/17630) Warum aber stand die Bundesregierung nicht im Austausch mit der Frontex-Zentrale in Warschau, die über die flächendeckende Überwachung des Mittelmeer-Raums mit Satelliten, Drohnen und Flugzeugen jederzeit hochaufgelöste Bilder von jedem Fleck des Meeres in Echtzeit erhalten kann – insbesondere dann, wenn ihnen die Koordinaten mitgeteilt werden? Im Dezember jedenfalls sendet Frontex dem Alarm Phone nach Monaten anhaltenden politischen Drucks schließlich ein Luftbild vom 9. Februar 2020. Darauf zu sehen ein luftentleertes schwarzes Schlauchboot nahe der letzten Position der 91 Menschen.
 
Manchmal fällt es schwer, die Trauer und Wut über die Politik des Sterbenlassens der EU in Worte zu fassen. Deshalb gedenken wir heute der 91 Menschen und sind in Gedanken bei den Verstorbenen und ihren Angehörigen und Freund*innen.
 
 
 
Bildquelle: Alarmphone